Historie, Ideen und Ziele der Freimaurerei



Vortrag in der Freimaurerloge „Zur Wahrheit und Treue“, Neuwied am 25.01.2010(ca. 70 Minuten)



Herzlich willkommen in den Räumen unserer Freimaurerloge „Zur Wahrheit und Treue“. Ich möchte Ihnen heute Abend von der Historie, den Ideen und Zielen der Freimaurerei erzählen, wie ich sie verstehe. Da ich weder Historiker, noch Philosoph noch Mediziner bin, werden Sie mir hoffentlich etwaige kleine Fehler nachsehen und bitte Sie, sie mir zu nennen, damit ich diese Fehler nur einmal mache!

Die Freimaurer, was wurde ihnen nicht schon alles vorgeworfen, sind ein Mythos. Die Vorwürfe der Gegner erstrecken sich über den Judaismus, der Weltverschwörung bis hin zur Geheimgesellschaft und der Teufelsanbetung. Was für ein Spektrum!? Selbst in den modernen Romanen eines Dan Browns halten die Freimaurer Einzug. Irgend etwas scheint an dieser kleinen Gruppe von Menschen – auch heute noch faszinierend zu sein. Freimaurer sind eigentlich Alles und Nichts. Viele Gerüchte und Mutmassungen, aber niemand weiß was Genaues. Bitte lassen Sie mich heute etwas von meinem Hobby, von meinem Steckenpferd, der Freimaurerei erzählen. Gerne beantworte ich am Ende des
Vortrages alle Ihre Fragen.

Eigentlich fing alles, wie vieles in der Weltgeschichte, 1717 ganz harmlos an. Die organisierte Freimaurerei startete 1717 in London mit der Gründung der ersten Grossloge. Schon 1737, also 20 Jahre später, wurde in Hamburg die erste deutsche Loge gegründet, die sich „Loge d‘Hambourg“ nannte. Diese Loge gibt es heute noch unter dem Namen „Absolom zu den drei Nesseln“. Bei uns in Neuwied gibt es die Freimaurerei seit 1753. Diese Loge, „Caroline zu den drei Pfauen“ wird als die 28. Loge in Deutschland geführt. Leider stellte diese Loge ihre Arbeiten schon 1793 wieder ein. Unsere heutige Loge wurde 1883 als die 469. Loge in Deutschland gegründet und arbeitet seither ohne Unterbrechung. Doch, kommen wir zurück auf das Jahr 1717, die Gründung der englischen Grossloge.

Vor fast 300 Jahren traf sich eine kleine Gruppe von Menschen in Londoner Kneipen und bildeten dann, zur Verwaltung und Vertretung nach aussen, die erste bekannte Grossloge. Moment, Mythos und Kneipe? Wie passt das zusammen? Tja, das ist eines der grossen Rätsel der Menschheit. Die Logen benannten sich sogar nach dem Namen der Kneipen in denen sie sich regelmässig trafen. Heute gibt es weltweit mehr als 6 Millionen Freimaurer. Wir treten heute noch für die gleichen Ideale ein, wie damals. Nur in Kneipen, da treffen wir uns heute nicht mehr.

Ich möchte Ihnen gerne den Weg schildern, den die Freimaurerei im Laufe der letzten 300 Jahre nahm und was sie uns auch heute noch zu sagen hat. Die Freimaurerei ist eine der letzten grossen Erfolgsgeschichten und zu ihrer Zeit mit Microsoft und Bill Gates vergleichbar. Auch bei Bill Gates glaubte niemand, dass er ernsthaft Siemens schaden könne! Es war 1980 geradezu lächerlich, dass der Personal Computer jemals die Wohnzimmer bevölkern würde. Und doch, wie wir heute sehen, die Dinge kamen anders, als sich die Computerfachleute dachten, und wie wir sehen, die Freimaurer gibt es auch noch heute und ihre humanitären Werte leben weiter. Als Kinder der Aufklärung setzten sie die Erde nicht mehr in den Mittelpunkt des Kosmos sondern stellen sich neue Fragen. Schon im 14. Jahrhundert stellte Petrarca die Frage: „Da wissen sie nun viele Dinge über die Tiere, Vögel und Fische, wie viele Haare der Löwe im Scheitel trägt, wie die Elefanten sich begatten, aber ich bitte Dich, was nützt es das zu wissen, und dafür die Natur des Menschen, seinen Zweck seine Herkunft sein Endziel nicht zu kennen oder gar zu missachten?“ Die Freimaurer wollen diese Fragen mit ihren eigenen Gedanken beantworten. Die Freimaurer stellen den Menschen in den Mittelpunkt ihres Wirkens. Freimaurer streben nach Mitmenschlichkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit. Freimaurer leben mit den Menschen auf einer Ebene und wollen sichere Freiheit für mündige, für freie Menschen in einem friedlichen Rahmen für alle Menschen. Nicht Freiheit als tagespolitisches Thema, sondern lebenslang. Nicht Entmündigung durch irgendwelche Vordenker, sondern selber Denken, sich von Vorurteilen befreien. Freimaurer wollen sich selber erkennen und erkennen sich im Spiegel mit Anderen. Sie waren die ersten, die sich den Zielen der modernen Demokratie verschrieben und begannen, wie schon gesagt 1717 in London mit der Gründung der ersten Grosslogen unter der Führung von Anthony Sayer mit der Erteilung der Gründungspatente den Weg um die Welt.

Lassen Sie mich kurz auf die Vorgeschichte der Freimaurerei eingehen. Die Freimaurer haben ihre Wurzel in den alten Männerbünden der Menschheit. Man traf sich zu gemeinsamen Handeln, zum gemeinsamen Essen oder zum gemeinsamen Jagen. Als sich die Gesellschaft spezialisierte und sich Menschen an eine gemeinsame Aufgabe heranmachten, bildeten sich natürlich wieder ähnliche Bünde und wurden in Folge auch Zünfte genannt. So haben es natürlich auch die Freemasons, die Steinmetze in England gemacht. Schon um 1390 wurde das Regius Manuskript (Halliwell Handschrift) als eine der ersten Logensatzungen der Menschheit verfasst und es liegt uns heute noch vor. Diese Bauhütten, die damals beispielsweise am Bau der gotischen Kathedralen beteiligt waren, hüteten ihre Geheimnisse und ihre Mitglieder schwuren Verschwiegenheit. Auch heute käme wahrscheinlich niemand auf die Idee seine Betriebsgeheimnisse zu veröffentlichen. Wie lange hat Coca Cola ein Geheimnis aus der Zusammensetzung des populären Getränkes gemacht? Andere behaupten hingegen, es gab gar keine Baugeheimnisse zu wahren, weil die Freimaurer nichts mit Baugeheimnissen zu tun hatten. Vielmehr sollte mit dem Geheimnis geklärt werden, wo der jeweilige Bruder her kam; ob aus Schottland, aus England oder aus Irland. Jedenfalls gibt es kein freimaurerisches Geheimnis, welches heute noch ein Baugeheimnis in sich tragen würde. Wieder andere behaupten, dass es eigentlich gar kein Geheimnis zu wahren gibt weil es nie ein Geheimnis, sondern eine Zunft gab; es sei lediglich ein Übersetzungsfehler von mystery (Geheimnis) und mistery (Zunft). Nun, egal ob es nun ein Geheimnis gab, oder nicht, die Geschichte und die Existenz der verschwiegenen Gesellschaft ist unstrittig.

Der Vorteil der Steinmetze lag vielleicht auch gerade darin begründet, dass sie sich schon sehr früh feste Bauhüttenordnungen gaben.
1Sie veranstalteten grosse Bauhüttentage, an denen Bauleute aus aller Herren Länder zusammenkamen und stellten allgemeine, weit über die örtlichen Belange hinausreichende Gesetze auf. Das ging sogar so weit, dass sie eine eigene Gerichtsbarkeit hatten und kein weltliches Gesetz für Steinmetze galt, keine weltliche Macht das Recht hatte einen Steinmetz vor ein Gericht zu stellen. Das taten die Steinmetze – manchmal sogar härter und schärfer urteilend als es ein weltliches Gericht je gemacht hätte – selber. An manchen Orten, wo der Dombau Jahrzehnte in Anspruch nahm, wurde die Bauhütte eine ständige Einrichtung im Leben der Stadt. Die zugereisten Steinmetze wurden ansässige Leute. Der Bauherr, der Geistliche, nahm sicherlich besonders Anteil am Gedeihen der Bauhütte, die Loge der Steinmetzen lohnte es ihm, indem sie ihn an den Zunftversammlungen teilnehmen liess, ja vielleicht, indem sie ihn ehrenhalber in die Zunft annimmt.

Die erste protokollierte Aufnahme von Nichtzünftigen in die Loge "Mary's Chapel" aus Edingbourgh ist uns vom 03.07.1634 bekannt. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass es schon um 1500 gängige Praxis war, Nichtzünftige in die Zünfte aufzunehmen. Die Bauhütte, der Männerbund der Bauleute, der eigentlich nur handwerksmässigen Zweck erfüllen sollte, erfährt auf diese Weise eine Erweiterung. Die schönen alten Bauhüttengebräuche werden so aber auch Aussenstehenden, Nichteingeweihten, Nichtzünftigen bekannt. Die Werkmaurer, die wir operative Maurer nennen, durchsetzen sich mit Mitgliedern, die wir später spekulative Maurer nennen werden. Noch sind es nur einfache Mitglieder, denn es fehlt ihnen die Idee des sich neu entwickelten Freimaurerbundes. Doch das soll sich schnell ändern!

Die Idee, die verfolgt wird, ist denkbar einfach. Menschen, die das Leben trennt, sollen in Brüderlichkeit vereint werden. Die Basis der Idee soll das Brauchtum der Steinmetze werden. An einen weltumspannenden Bund denkt zu dieser Zeit natürlich noch niemand; zu jung, zu unglaublich ist diese Idee! Es ist genug, wenn in dem durch die Parteien so zerrissenen England Männer aller Parteirichtungen einen Ort haben, sich selber einen Ort schaffen können, wo sie harmlos und gesellig verkehren, ohne über Parlamentsakten oder Glaubensartikel streiten zu müssen. Für diesen Streit sorgt das tägliche Leben ohnehin schon genug. Hier soll Ruhe sein und Friede und Brüderlichkeit, gepaart mit heiterer Geselligkeit, Lebensbejahung in Essen und Trinken und „ein Grad von Wohlanständigkeit“, ohne den keiner Zutritt erlangen soll. Von einer besonderen Geisteshaltung ist hier natürlich noch nicht die Rede. Das änderte sich aber schnell, da die Engländer um diese Zeit auch die ewigen Glaubensstreitigkeiten endgültig satt hatten. Man legt sich eine neue Weltanschauung, den Deismus, zu. Er wird die Religion des anständigen Menschen schlechtweg. Tolerant, das heisst zu dieser Zeit: anders wie die anderen, denn die grosse Menge ist und bleibt immer unverträglich und intolerant. Die Freimaurer dieser Zeit sagen „Aber wir, die Männer der Bauhütte, wir haben jetzt etwas, was uns von der Menge unterscheidet, wir haben ein Geheimnis vor ihr voraus, das Geheimnis, das eigentlich keines ist, wenn man darüber spricht, aber das eines wird, wenn man es zu erleben trachtet: wir Freemasons haben das Geheimnis vom Menschen. Wir haben durch Spekulation erfahren, was der Mensch ist. Wir können es euch nicht sagen, denn wir ahnen es selbst nur und deshalb verschleiern wir es uns in der Allegorie und suchen es uns durch Symbole
deutlich zu machen.“

Die spekulativen Maurerei, die Freimaurer erblicken das Licht der Welt! Und so haben wir die letzte Stufe der Idee erreicht: der Männerbund, der sich mehr aus formalen Äusserlichkeiten zu einer grösseren Organisation zusammenschloss, ist ein Menschheitsbund geworden und steigt 1717 in London aus dem Nebel der Gründung empor ans Licht der Sonne. Aus dem Toleranzgedanken der Zeit wird der Bund geboren, der keinen Unterschied der Rasse, der Religion, der Nation kennen will und der sich die Menschen nur darauf ansieht, ob sie die Religion haben, in der alle guten Menschen übereinstimmen. Ein Männerbund, der in Symbolen ein Mysterium bearbeitet, der ein Brauchtum hat. Sein Stammbaum reicht bis an die Wiege der Menschheit. Wenn sich unter ihren Windschirmen Australier zur Jünglingsweihe versammeln, so grüsst der Freimaurer in ihnen Verwandte. In den Mysterien der Kirchen, im Liebesmahl, in der Taufe, der Wiedererweckungsidee, in den Weihezeremonien der religiösen Kulte melden sich zarte und laute Beziehungen. Nichts ist Nachahmung, obwohl auch Nachahmung eine Rolle gespielt haben könnte. Wichtig ist, es ist alles gleiche Empfindung! Deshalb ist es falsch, einen Stammbaum der Freimaurerei zu suchen und sie von den Ägyptern, den Essenern, den Pythagoräern oder gar von dem Orakel von Delphi herleiten zu wollen. Aus gleichen seelischen Voraussetzungen sind ähnliche Formen entstanden – das ist das ganze Geheimnis der Vorgeschichte der Freimaurerei.

Der Beginn der Freimaurerei wird auf 1717 mit der Gründung der Grossloge von England gelegt. Das ausgehende 17. Jahrhundert war noch traumatisiert von den grossen Pestkatastrophen und dem 30jährigen Krieg. Der Westfälische Friede, der nochmals den Augsburger Religionsfrieden bestätigte, liess die freie Religionswahl für seine Untertanen nicht zu. Es galt „Cuius regio, eius religio“. Die Bürger waren unterteilt in Leibeigene, Freie und Adelige. Das Königreich England stürzt in tiefe innenpolitische Wirren. Die Monarchie gerät durch ihren absoluten Herrschaftsanspruch in einen offenen Konflikt mit dem selbstbewussten Bürgertum. Im Bürgerkrieg zwischen Parlament und Krone setzt sich 1649 zunächst das Parlament mit der Hinrichtung König Karl I. durch. Oliver Cromwell errichtet 1653 eine puritanische Militärdiktatur und gestaltet England für ein Jahrzehnt in eine Republik um. Mit seinem Tode aber kehren katholische Könige auf den englischen Thron zurück. Befürchtungen vor einer katholischen Restauration führen 1688 zur Glorious Revolution, in deren Verlauf die katholischen Könige unblutig vertrieben werden und der Protestant Wilhem III. von Oranien als englischer König eingesetzt wird. Der religiös motivierte Bürgerkrieg, der in seinen Ursprüngen aber letztlich ein Machtkampf zwischen Krone und Parlament war, führte zu der besonderen Form der englischen Demokratie. In all diesem Durcheinander suchen die Menschen, die Bürger, vor allem eines: Frieden und Sicherheit für ihre Familien und sich selber! Das starke Bürgertum fordert seine Freiheit und organisiert sich im Untergrund. Die Logen der Freimaurer nehmen alle freien Männer von gutem Ruf auf und verschaffen den Unterdrückten damit neuen Lebensraum. Raum, der gerne angenommen wird. An zahlreichen Orten des alten England entstehen diese neuen Freimaurerlogen. In London sind sie um die Jahrhundertwende des 17. Jahrhunderts allerdings schon wieder im Rückgang begriffen. Der Niedergang erscheint unaufhaltsam. Da kommen die Londoner Logen auf den Gedanken, in der Vereinigung zu einer höheren Gemeinschaft eine neue Stütze zu suchen. So treten dann am Johannistag 1717 in London vier Logen zusammen und die gründen die Grossloge von England. An Persönlichkeiten, die im Leben oder in der Kunst selbst etwas gelten, scheint es gefehlt zu haben. Ein recht einfacher Mann, Anthony Sayer, wird erster Grossmeister. Auch sein Nachfolger ist nichts besonderes. Auffallend ist, dass unter den Gründern die Steinmetze fehlen. Freimaurer gibt es seit vielleicht einem Jahrhundert zweierlei: Zum einen die operativen Werkmaurer und zum anderen die spekulativen Freimaurer. Das Handwerk der Steinmetze lebt von jetzt an in den Logen der Freimaurer im Symbol weiter. 1723 werden die Alten Pflichten von Reverend James Anderson verfasst. Diese alten Pflichten stellen erstmals ein freimaurerisches Regelwerk dar.

Die Vorlieben der Mitglieder in dem neuen Bund der Freimaurer hinterlassen natürlich auch hier ihre Spuren. Die Jakobiten, die sich für ein katholisches England – am liebsten unter der Führung der Stuarts aus Schottland einsetzten standen gegen diejenigen Mitglieder, die sich für die protestantische Seite unter Führung der Oranier, entschieden. Schon von Beginn an, also 1723, entstehen so die zwei grossen Ausrichtungen der Freimaurerei.
5 Zum Einen die deistische, die sich selber als „Angenommene freie Maurerei“ bezeichnet und zum Anderen die christliche, die sich selbst die „Freie Maurerei“ nennt. Was die beiden Systeme wohl Anfangs am meisten Unterscheidet, ist die Praxis der christlichen Maurerei, Patente an Brüder zu erteilen, die sie als stellvertretende Grossmeister zur Gründung einer entsprechenden Maurerei im Ausland legitimiert. Als erstes entstand so in Genf – zum Ärgernis des Stadtrates – 1736 die erste Loge. England ist geistige Mode in diesem Jahrhundert. Nicht in Frankreich, in England sind die grossen Ideen der französischen Revolution vorbereitet worden. Der Engländer nimmt seine Bräuche mit, wohin ihn der Wind des Schicksals auch wehen mag. Und so beginnt die Freimaurerei in diesem guten Wind mitzusegeln. Und nun vollzieht sich etwas Merkwürdiges. Weil Freimaurerei in England Mode geworden ist, greift diese auch auf dem Kontinent um sich. Zunächst kommt die Bewegung mit den Jakobiten, den Stuarts aus Schottland, aber auch anderen Dissidenten aus Irland, die sich nicht mit den Oraniern abfinden wollen, nach Frankreich, nach Paris. 1728 gründet Wharton eigenmächtig eine Loge in Madrid, die erste Loge auf dem europäischen Kontinent. Und schon nach wenigen Jahren ist die Freimaurerei sogar in Indien zu Hause. Ein grosser Wurf gelingt der jungen Grossloge als ein gewisser Dr. Desaguliers Mitglied der Loge geworden ist. Man macht ihn zum Grossmeister. Er ist Reverend, hat ausgezeichnete Beziehung zu den höheren Gesellschaftsklassen, ist Mitglied der Royal Society, der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften. Ein Mann von Gewicht und Ansehen. Wahrscheinlich ist er es, der junge Hochtorys auf die eigenartige Gesellschaft der Freimaurer aufmerksam macht. Der Herzog John of Montagu findet Interesse und wird Freimaurerbruder. Er hat dem Bunde nicht all zuviel zu geben, aber er gibt ihm seinen wohlklingenden Namen. Sein Nachfolger ist der Herzog von Wharton. Und von hier an beginnt die Liste der adeligen Grossmeister. Die Freimaurerei ist plötzlich aus der Verborgenheit heraus, und ist gesichert, als es gelingt, sogar einen Prinzen von königlichem Geblüt zum Beitritt zu bewegen. 1731 wird Franz von Lothringen, später genannt Kaiser Franz I. von Österreich, Freimaurer. Am 06.12.1737 wird die erste Loge in Deutschland – von England aus, in Hamburg mit dem späteren Namen „Absolon zu den drei Nesseln“ gegründet. 1736 gründet sich die erste Grossloge in Frankreich. Von dort aus kommt die Freimaurerei mit Graf Alexander zu Wied nach Neuwied und führt schon 1753 zu der Logengründung der Loge „Caroline zu den drei Pfauen“. 7 Bis 1766 waren von der Grossloge zu London aus bereits 480 Logen konstituiert, nämlich 208 im Umfeld von London, 178 sonst in England, 94 auf dem Kontinent von Europa, in Afrika, Asien , Nordamerika und Westindien. Um 1870 gab es über 8000 Logen, darunter 74 Grosslogen: Davon alleine 10 in Deutschland.

Die Freimaurerei stösst im aristokratischen Europa unter den Staatsführern natürlich auf wenig Gegenliebe; zu Recht, wie uns die Geschichte zeigt! Am 4. Juli 1776 erklären die Amerikaner ihre Unabhängigkeit – viele Unterzeichner sind Freimaurer. Am 14. Juli 1789 begehrt das französische Volk auf und der Sturm auf die Bastille löst damit ein neues Zeitalter aus. Alles ist im Um- und Aufbruch. Das Zeitalter der Aufklärung hat begonnen. Der Aberglauben der Völker verbrennt auf den Feuerstellen Newtons, Descartes, Voltaires und vieler Anderer. Auf diesen nahrhaften Boden fallen die Samen der Freimaurerei und bringen vielfältige Blüten zum Vorschein – bis hin zu der verdrehten Konstruktion der strikten Observanz, die sich auf die Tempelritter berief. Ohne diese – in Frankreich geborene - Idee zu belegen, berief man sich auf Legenden, die auch heute noch in den Köpfen der Menschen geistert, wenn sie das Wort Freimaurer hören. Doch diese Richtung der Freimaurerei, wie auch die Illuminaten, hatte schon im 19. Jahrhundert keine Mitglieder mehr und verschwand, übrigens hier in Neuwied, im Nebel der Zeit und taugt heute eigentlich nur noch als amüsante Randnotiz in der Geschichte der Freimaurerei.

Da die Staatsoberhäupter Europas einerseits selbst fasziniert von dem Gedanken der Aufklärung aber andererseits um ihre Macht fürchteten wurde die Freimaurerei vielerorts bekämpft. Das erste Freimaurerpogrom folgte. Es sollte leider nicht das letzte sein. Einer der grössten Unterstützer der Aristokratie war zu diesem Zeitpunkt die katholische Kirche.
2Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die katholische Kirche unter Papst Clemens XII. gegen die Freimaurerei die Inquisition einsetzte und am 28. April 1738 die erste Bulle gegen die Freimaurerei erliess. Der grösste Vorwurf, der Deismus und die Tatsache, dass die Freimaurer die Auffassung vertreten, dass es viele Wege zu Gott gibt und jeder seinen eigenen Weg finden und gehen sollte, war der grösste Vorwurf. Ein anderer beispielsweise, die freimaurerische Forderung, die Ehe staatlich zu besiegeln. Die Freimaurerei wurde unter Strafe gesetzt und die Tat führte sofort zum Bann, von dem die Lossprechung – das Sterbebett ausgenommen – dem höchsten Oberhaupt der Kirche vorbehalten bleibt. Die Freimaurer waren plötzlich Ketzer und wurden als solche in den katholischen Ländern hart verfolgt. In Russland, Italien, Spanien, Portugal und vielen anderen Ländern schlug die Inquisition und der Staatsterror erbarmungslos zu. 3 Selbst in der Türkei verbietet der Sultan 1748 die Freimaurerei als religionsfeindliche Sekte. Eine gute Sache, wenn man bedenkt, dass sich der Islam und das Christentum das erste Mal in ihrer gemeinsamen Geschichte, wirklich einig waren! Traurig, dass so viele Menschen für diese Meinung leiden und sterben mussten. Allein in Spanien und Portugal hat die freimaurerische Sache Tausende von Märtyrern gefunden, Brüder, die für ihr Ideal aufrechten Nackens in den Tod
gingen. Diese grausamen Unterdrückungen ohne jede Ursache machten es erklärlich, dass Freimaurer immer mehr in die Reihen der für Freiheit Kämpfenden traten, dass sie Führer der Demokratie wurden, Pioniere des freien Denkens. Umso unerbittlicher ging die Inquisition natürlich auch wieder gegen die gefährliche Geheimgesellschaft der Freimaurer vor.

Ich möchte anhand von zwei exemplarischen Beispielen zeigen, dass die angebliche Geheimgesellschaft der Freimaurer, ihren guten Grund für ihre Verschwiegenheit hatte. 1735 hat in Portugal ein provenzalischer Dominikanermönch, Bonnet de Meautry, Beichtvater des französischen Gesandten, ein Fanatiker und Ketzerspürer, der sich selbst bescheiden „carnassier de Notre Seigneur“ nannte, 17 Brüder denunziert und beim Grossinquisitor Don Pedro de Silveira wegen Verschwörung und Ketzerei angezeigt. Er verlangte die Verfolgung und exemplarische Bestrafung der „Pedreiros livres“. König Johann V., von religiösen Wahnideen befallen, gab seine Einwilligung zu einem umfassenden Verfahren und erliess, ohne auch nur die Zustimmung der Cortes einzuholen, ein rückwirkendes Gesetz, kraft dessen jeder überwiesene Freimaurer ohne Appellationszulässigkeit zum Tode verurteilt werden solle. Kaum war die „Ordonanca“ veröffentlicht, wurde auch schon am 08. März 1743 die Lissaboner Loge „Virtud“ von Polizisten und Musketieren überfallen. Drei
Logenmitglieder, die zwei Aristokraten Damiao de Andrade und Manoel de Revelhos und der helfende Bruder Christoph Diego, ein getaufter Mohammedaner, mussten am 01. Juni das Blutgerüst besteigen, nachdem die fürchterlichsten Torturen des dritten Grades nicht vermocht hatten, ihnen die Namen ihrer Mitbrüder zu entreissen. Die Polizei war aber selbst durch ein Denunziation einigen der Gesuchten auf die Spur gekommen. Die Frau eines Konkurrenten hatte sie der Inquisition als Freimaurer verraten.

Ein anderes Beispiel: Der Gouverneur der Insel Madeira erhielt 1792 den Befehl, alle Freimaurer, derer er sich bemächtigen könne, als „Urheber der Revolution“ der Inquisition auszuliefern. Durch seine Frau erfuhren eine Reihe Freimaurer von der drohenden Gefahr, und es gelang ihnen, einen englischen Schiffskapitän, den Freimaurer Walther Ferguson, zu bestimmen, sie auf seinem auf der Reede von Funchal liegenden Zweidecker „Good Hope“ fortzuführen. 64 Freimaurer und ihre Familien gingen an Bord des Schiffes, das sie nach langer Fahrt in den Hafen von New York brachte. Bei der Einfahrt zeigte eines der grossen Segel Freimaurerzeichen, darunter in riesigen Buchstaben die Worte „Asylum quaerimus“ („Eine Freistätte suchen wir“). Und in der Tat fanden die Flüchtigen bei den amerikanischen Brüdern glänzendste Aufnahme. Die Grossloge von Pennsylvanien lud sie feierlich nach Philadelphia ein. Eine Fregatte der Unionsflotte brachte die Märtyrer nach dem Delaware River. George Washington entbot ihnen inmitten von Tausenden den Gruss der Union und erklärte sie zu deren Bürgern.

Vielleicht erklärt sich aus diesen Beispielen auch die Verschwiegenheit der Freimaurer. Denn auch heute noch, im Jahr 2010, gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Bund der Freimaurer verfolgt und getötet werden. Auch heute setzen sich weltweit Brüder für die Freiheit und Gleichheit, nicht nur ihrer persönlicher, nicht nur Ihrer und meiner, sondern aller Menschen ein. Ihnen dann darüber hinaus auch noch den Vorwurf zu machen, sie seien ein Geheimbund, der irgendwelche schlimmen Sachen praktiziert, ist – und da wird mir sicherlich jeder vernünftige Mensch zustimmen – zynisch!

In Deutschland hatte die Freimaurerei etwas mehr Glück. Der junge Kronprinz Friedrich II von Preussen, ein Freund Voltaires, Anhänger des aufgeklärten Absolutismus und Protestant, wurde am 14. August 1738 durch die Hamburger Loge in die Freimaurerei aufgenommen. Kurz nachdem er König wurde, wurde er auch "Grossmeister der Freimaurer in Preussen“. Und vor allem: Der junge König machte aus seiner Mitgliedschaft keinen Hehl sondern trat in die Öffentlichkeit und bekannte sich zum Bund der Freimaurer. Auch heute noch spricht von evangelischer Seite nichts gegen eine gleichzeitige Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge und dem Glauben der evangelischen Kirche. Die Freimaurerei erlebte in Deutschland eine Blütezeit. Fast alle grossen Geister dieser Zeit waren auch Freimaurer.
4 Matthias Claudius, Freiherr von Knigge, Ephraim Lessing, Martin Wieland, Fichte, Goethe, Herder als Literaten, Wilhelm Hufeland, Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, Alexander von Humboldt, Schliemann, Brehm und Montgolfier, als Wissenschaftler, Blücher, Hardenberg und Blum als Politiker und Haydn, Bach und Mozart als musische Künstler, um nur einige wenige zu nennen.

1 Es ist ein Ruhmesblatt der deutschen Freimaurerei, dass sie in dieser Zeit des Klassizismus so unendlich befruchtet wurde, dass sie noch heute ihre Eigenart dem deutschen Klassizismus zu danken hat. Die Männer jener Zeit waren nicht nur Freimaurer dem Namen nach. Jeder einzelne hat zum freimaurerischen Besitzstand beigetragen. Lessing mit seinen „Gesprächen von Ernst und Falk und seinem „Nathan“. Herder mit seinen „Briefen zur Beförderung der Humanität“ Fichte mit seinen „Briefen an Konstant“. Goethe in seinem „Wilhelm Meister“ und natürlich in seinem – wer kennt ihn nicht? „Faust“. Keine andere Nation hat eine so reiche klassische Freimaurerliteratur zu verzeichnen wie die deutsche dieser Zeit. Die beiden grossen Freimaurer-Richtungen, die christliche und die deistische, stehen jetzt vor einem Scheidepunkt. Als bedeutendstes Land der damaligen Zeit ist natürlich Preussen zu nennen. 6 Preussen besass beispielsweise um 1800 drei Grosslogen: „Die Grosse Landesloge der Freimaurer von Deutschland“, „Die Grosse National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln““ und die Grossloge „Royal York“, genannt „Zur Freundschaft“. Alle drei waren ausgesprochen christlich und niemand, der nicht Christ war, konnte Mitglied werden. In anderen deutschen Staaten bestanden fünf Grosslogen: „Die grosse Loge von Hamburg“, die „Grosse Mutterloge des Eklektischen Freimaurerbundes in Frankfurt a. Main“, die „Grosse Landesloge von Sachsen und Dresden“, „die „Grosse Freimaurerloge „Zur Eintracht“ in Darmstadt“ und die Grossloge „Zur Sonne in Bayreuth“. Ich nenne diese Namen nur, damit man sie einmal gehört hat. Es zeigt das vielfältige freimaurerische Leben in Deutschland und vor allem, dass sich eine regelrechte Freimaurerkultur herausbildete. Der Unterschied zwischen diesen Logen und den preussischen war nun, dass sie nicht auf christlicher, sondern auf humanitärer Grundlage arbeiteten. Da die Freimaurerei keine Religion ist, standen sie dem ursprünglichen deistischen Ideal der „angenommenen freien Maurer“ näher als dem katholisch-christlichen Ideal der „freien Maurer. Deshalb entwickelt sich die christliche Freimaurerei auch immer stärker nach und in Skandinavien wo sie auch heute noch das stärkste System stellt. In Deutschland hat die christliche Freimaurerei heute im Freimaurerorden ihre Berechtigung. Die skandinavische Freimaurerei hat eine starke Bindung an die Herrscherhäuser und ursprünglich, da die Herrscherhäuser protestantisch waren, wurden auch nur Protestanten in den Logen aufgenommen. Die drei Skandinavischen Grosslogen arbeiten nach einem streng christlich-mystischen System der „schwedischen Lehrart“. Die Eckpfeiler dieses Systems ist die Lehre von Jesus, so wie sie in den Evangelien steht, und die Bibel auf dem Altar ist nicht nur ein Symbol, wie in der übrigen Welt, sondern wirklich in des Wortes voller Bedeutung „das grösste der drei Lichter“. Auf diese Lehrart des 18. Jahrhunderts haben der Theosoph Swedenborg und die geistliche Ritterschaft der Templer, bzw. rudimentär die eigentlich schon verschwundene „Strikte Observanz“, starken Einfluss gehabt.

Die beiden grossen Namen der damaligen Zeit, die man heute nur noch bei den Freimaurern als Reformatoren kennt, sind Friedrich Ludwig Schröder – ein Theaterdirektor aus Berlin und Reformator der Grossloge von Hamburg und Ignaz Aurelius Fessler – ein Kapuzinermönch aus Österreich und Reformator der Grossloge „Royal York“. Schröder traf sich häufig mit Mitgliedern der englischen, deistischen Maurerei und schenkte der Freimaurerei ein neues – das Schröder'sche Ritual – und Fessler reformierte die christliche Maurerei und schenkte das Fesslersche Ritual. Die Freimaurer der damaligen Zeit begriffen noch nicht die grossen Chancen in vielen Kulturen, die viele Aspekte der gleichen Idee beleuchten können, sondern die Freimaurer in Deutschland suchten die Einheit in der Vielfalt. Schon 1848 wollten sich einige Grosslogen zu einer Einzigen zusammenschliessen. Die Bestrebungen scheiterten, weil die preussischen Grosslogen, die 70 Prozent aller Freimaurer Deutschlands umfassten, eine gemeinsame Ordnung im preussischen Sinne, gestalten wollten, was die anderen Grosslogen natürlich abschreckte. Trotzdem entstand 1872 ein weitverzweigter Deutscher Grosslogenbund, bei welcher Gelegenheit eine der drei preussischen Grosslogen, die „Royal York“ deren Mitglied auch unsere Neuwieder Loge „Zur Wahrheit und Treue“ war, beschloss, künftig auch Nichtchristen aufzunehmen. Ein grosser Fortschritt für die damalige Zeit!

Vergessen darf man natürlich auch nicht Johann Kaspar Bluntschli, der die Grossloge und das Ritual der Grossloge „Zur Sonne“ aus Bayreuth beeinflusste. Ein weiterer Reformator der damaligen Zeit, der viel Staub in der deutschen Freimaurerei aufwirbelte war der Meister vom Stuhl der Freiburger Loge "Zur edlen Aussicht", Gottfried August Ficke. Er wollte dem Gedanken der religiösen Toleranz dadurch einen sichtbaren Ausdruck verleihen, dass in den Logen statt der Bibel ein weisses Buch ohne jede Schrift aufgelegt wird, das für jeden Freimaurer die heilige Schrift seines besonderen Bekenntnisses symbolisieren soll. Ficke war 1841 in die Hamburger Loge "St. Georg" aufgenommen worden, die wie die Loge "Absalom" zu den "Vereinigten Fünf" der "Grossen Loge von Hamburg" gehört, und war von 1847 bis 1850 Meister vom Stuhl der Hamburger Loge "Ferdinand zum Felsen". Er begründet seinen Vorschlag wie folgt: "Da Gott, die Religion und die Moral des Bundes nicht in ein einseitiges Glaubensbekenntnis eingegrenzt sind, sondern humanistisch, rein und allgemein menschlich aufgefasst werden müssen, so ist die Bibel, welche nur Christen als heilige Schrift gilt, kein entsprechendes Emblem für alle. Die Freimaurerei erkennt als die heiligste Schrift diejenige, welche der grosse Baumeister in die Brust jedes Menschen geschrieben hat. Die Bibel genügt daher nicht auf dem Humanitätsaltar, der allen Glaubensbekenntnissen zugleich angehört." Und an anderer Stelle erläutert Ficke: "Gott ist das ewige Problem, welches der Mensch aller Erdkreise und aller Zeiten aufzulösen und dadurch seine Religion und Moral, sein Verdienst, seine Weisheit, Schönheit und Stärke, zu bestätigen hat. Der Mensch tut das auch seit Jahrtausenden auf der Erde und hat manches heilige Buch geschrieben. Das Problem ist jedoch nicht gelöst. Daher liegt hier (in der Loge) ein ungeschriebenes Buch. Wir erkennen keine unbedingte Autorität in Glaubenssachen an; es passt also für uns. Wir sollen es, jeder für sich, voll schreiben und dadurch unsere geistige Selbständigkeit an den Tag legen." Da die Freiburger Loge "Zur edlen Aussicht" eine Tochterloge der Grossloge "Zur Sonne " in Bayreuth war, brachte Ficke in der Grosslogenversammlung 1872 in Heidelberg den Antrag ein, das weiße Buch als freimaurerisches Symbol anzuerkennen, was die Versammlung gegen eine Stimme auch tat. Die Grossloge "Zur Sonne" stellte es von da an ihren Tochterlogen frei, nach dem von Ficke erstellten so genannten "Freiburger Ritual" zu arbeiten, zu dem das Auflegen des weißen Buches gehört. Dieser Brauch erhielt sich in diesen Logen bis 1930, dann wurde auch dort wieder die Bibel aufgelegt, weil die "Grosse Landesloge der Freimaurer von Deutschland" 1928 aus Protest gegen das weiße Buch den Abbruch der Beziehungen zur Großloge in Bayreuth beschlossen hatte. Die "Grosse Landesloge" in Berlin begründete ihren Beschluss damals damit, dass die Grossloge "Zur Sonne" nicht mehr als freimaurerische Grosskörperschaft gelten kann, weil sie ihren Tochterlogen die Freiheit gebe, die Bibel vom Altar zu entfernen. Eine Beseitigung der Bibel komme einem Widerruf des Gottesbekenntnisses gleich und rüttle an dem Fundament der auf dem Glauben an Gott begründeten Freimaurerei. Die Bayreuter Grossloge beschloss daraufhin, dass künftig das weiße Buch in Logen nur noch neben der Bibel aufliegen dürfe.

Während die Freimaurerei in den romanischen Ländern immer stärker bekämpft wurde, war es in den protestantischen Ländern Deutschlands natürlich etwas schwerer, die Bruderschaft zu stoppen. Auch einige Geistliche waren mittlerweile, trotz des Bannspruchs des Papstes, Freimaurer geworden. Besonders hervorzuheben sind hier die Brüder des Benediktinerstifts in Melk (Niederösterreich), die sogar ein eigenes benediktinisches Freimaurerritual schrieben.
10 Ein besonders eifriger kirchlicher Streiter in Deutschland wider die Freimaurerei war dagegen im 19. Jahrhundert der Freiherr Wilhelm Emanuel von Ketteler, Bischof von Mainz. Die Ironie des Schicksals wollte es jedoch, dass sein Taufpate, der Hildesheimer Domherr Wilhelm von Ketteler, seinerseits Meister vom Stuhl der Loge „Zum stillen Tempel“, also Vereinsvorsitzender war, und zwar von 1808 bis zu seinem Tode 1820. Zeit seines Lebens hat sich dann der Bischof Ketteler mit der Freimaurerei auseinandergesetzt, und noch 1865 verfasste er die Schrift: „Kann ein gläubiger Christ Freimaurer sein?“ In dem Heidelberger Staatsrechtler, und Reformator, Bluntschli, sah und bekämpfte er leidenschaftlich den „Führer des Protestantismus“, und Logengeist witterte er bei alle unkirchlichen Geistlichen. Seinen nationalliberalen Gegenspieler Treitschke nannte er einen Freimaurergenossen.

Das positive Verhältnis vieler aufgeklärter und freisinniger Kirchenfürsten zur Freimaurerei bewirkte, dass die päpstlichen Bannbullen im deutschen Raum weitgehend ohne Wirkung geblieben sind. Hinzu kam, dass die Bannbullen in den katholischen Ländern nur wirksam werden konnten, wenn sie von den Parlamenten dieser Länder amtlich registriert wurden, wozu sich einige Staaten nicht entschliessen konnten. Auf deutschem Boden lässt sich deshalb die ständige Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit der Freimaurerei auf wenige Höhepunkt und Episoden zurückführen, wenn von dem Eifern einzelner Ortsgeistlicher abgesehen wird. Die antifreimaurerische Propaganda erlitt allerdings einen herben Rückschlag, als man sich auf dem Antifreimaurerkongress 1896 in Trient traf, an dem auch der Papst teilnahm. Leo XIII verurteilte dort die Ideen der Freimaurer als Dogmen verwegenster Gottlosigkeit. Der Sekretär des Kongresses, Verzichi, predigte schliesslich „einen wahren Feldzug gegen den modernen Islam, die Freimaurerei“, und gab der Hoffnung Ausdruck, recht bald Freimaurerfahnen als Siegestrophäen in der Kirche Santa Maria della Vittoria hängen zu sehen. Veranstalter dieses Kongresses war ein gewisser Leo Taxil, mit richtigem Namen Gabriel Jogand Pages, wurde 1854 in Marseille geboren, von Jesuiten erzogen und trat 1881 dem Bund der Freimaurer bei. Allerdings wurde er aus dem Bund, nach dreimaligem Besuch der Loge, wegen Vergehens gegen die freimaurerische Ehre ausgestossen. Dieser Leo Taxil schrieb in Folge viele Bücher, die vom Vatikan für die eigene Propaganda ausgeschlachtet wurden. Taxil verstieg sich sogar in Aussagen, die von der kirchlichen Propaganda genutzt wurden, in denen er behauptete, der Teufel und seine Unterteufel würden in Persona in Logen bei den Ritualen der Freimaurer anwesend sein. Zwölf Jahre lang trieb Taxil, unter den Augen des Klerus, mit immer unglaublicheren Enthüllungen sein Spiel. Doch dann platzte am Ostersonntag 1887
die Bombe: Anlässlich eines Vortrages über den Palladismus Kult im Saal der Geographischen Gesellschaft in Paris gab Taxil bekannt, dass alle seine „Enthüllungen“ reiner Schwindel gewesen seien und dass er es die ganzen zwölf Jahre lang nur darauf angelegt habe, sich über die Kirche und den katholischen Klerus lustig zu machen. Der Skandal war ungeheuerlich, der Rückschlag für die antifreimaurerische Propaganda, vor allem von kirchlicher Seite, empfindlich.

So war also das 19. Jahrhundert in der Freimaurerei geprägt von Streitigkeiten mit der Kirche und natürlich auch mit Streitigkeiten untereinander. Die Logen fanden sich in den neuen Grosslogen aber doch sehr schnell zurecht. In Deutschland konnte man eigentlich mit der Entwicklung der Freimaurerei ganz zufrieden, wenn nicht sogar selbstzufrieden sein. Die eigentliche Wende
11 kam durch den Tod Friedrichs III. im Jahr 1888, nur wenige Monate nach dem des Vaters, plötzlich und folgenreich. Friedrich III. hatte vergeblich versucht, seinen Sohn für die Freimaurerei zu begeistern. Wilhelm II. zeigte keine Neigung für die Freimaurerei, weder für ihre christlich konservative Richtung, auf die sich Wilhelm I gestützt, noch für ihre liberal humanitäre, englische Richtung, die der Vater, Friedrich III., verkörpert hatte. Wilhelm II. brach bewusst mit der traditionellen Bevorzugung der Logen durch die Hohenzollern, sicher auch, um sich der Ideenwelt des Vaters zu entledigen. Mit dem Ende des politischen Bündnisses von Obrigkeitsstaat und gemässigt liberalem Bürgertum kam auch das Ende des Bündnisses der Freimaurer mit den Hohenzollern.

Ende des 18. Jahrhunderts entstand auch das Denken eines Herrn Ludendorf, das im 3. Reich ein weiteres Freimaurerpogrom anführte und den Freimaurern u. a. vorwarf, sie wären projüdisch, demokratisch und würden eine Weltherrschaft anstreben, bei der alle Menschen die gleichen Rechte hätten. Aufgrund dieser Aussagen sind viele Brüder in der dunklen Zeit des 3. Reiches in Deutschland ermordet worden.

Die nationalistischen Bestrebungen
12 schlugen natürlich auch die Freimaurer in den jeweiligen Logen in ihren Bann. Ein Zeitzeuge, August Horneffer, beschreibt die Zeit so: „Ich sah jeden Tag von neuem, wie unsicher die Brüder geworden waren, und wie nahe die Gefahr lag, dass Uneinigkeit und Ratlosigkeit den zwar komplizierten, aber bisher haltbaren Bau der deutschen Freimaurerei zerstörten“ Die nach 1918 einkehrende Ruhebedürftigkeit, das Verlangen, sich in der Stille zu sammeln und Ruhe zu haben, zu empfinden, war für die Freimaurerei günstig. Die Weimarer Republik wäre für die Freimaurerei eine Insel der Glückseligkeit gewesen, wenn nicht Herr Ludendorf und anschliessend Adolf Hitler mit dem 3. Reich im Gefolge, zum letzten deutschen Freimaurerpogrom aufgerufen hätte. Die 12 Internationalität der deutschen Freimaurerei war im Zuge des Versailler Vertrages ohnehin über Bord geworfen worden. Die Bruderschaft war im Jahre 1914 mit der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes einig in dem Wunsch, alle über die Grenzen reichenden Fäden zu zerschneiden und aus reiner, originaler „Deutschheit“ heraus den Kampf mit der übrigen Welt zu bestehen. Die Grosslogen wanderten nach Berlin, in das Lager der so genannten christlichen Grosslogen ab, wo der König von Preussen ihnen noch Privilegien zu gestand. Als Adolf Hitler mit seinen völkischen Ideen auftauchte, wollten viele Logen mitmachen und änderten sogar ihren Namen. Ausnahme war beispielsweise die Grossloge „Zur Sonne“ aus Bayreuth, die sich lieber selber vorher auslöschte. Ein Kampf, eine Opposition gegen die herrschende Politik wäre für einen Freimaurer der damaligen Zeit in Deutschland undenkbar gewesen. Man war in erster Linie Deutscher, und in zweiter Linie Freimaurer. 10 In der deutschen Freimaurerei herrschte also der gleiche Geist wie im übrigen deutschen Volk: Am Wesen der deutschen Freimaurerei sollte die Weltfreimaurerei genesen. Die Freimaurer in den Feindstaaten waren keine Brüder mehr, nicht weil sie, jeder auf seine Weise, etwas Böses, Unbrüderliches getan hatten, sondern allein deshalb, weil sie Angehörige eines Volkes waren, gegen das gerade Krieg geführt wurde. Sie waren also kollektiv schuldig, ihre Freimaurereigenschaft wurde erst wiederentdeckt,als der Krieg für Deutschland verloren war. Nach wie vor befangen in der Zweigleisigkeit nationalistische Denkens, konnte deshalb guten Glaubens und reinen Gewissens der Vorsitzende des deutschen Grosslogenbundes durch Vermittlung des hessischen Ministerpräsidenten Mitte November 1918 an die „Vereinigte Grossloge von England“ und an die „Grossloge von New York“ein Telegramm mit der Bitte schicken, die Folgen des Waffenstillstandes zu mildern und das deutsche nicht verhungern zu lassen. Die englische Grossloge hüllte sich in Schweigen, und die Grossloge von New York schickte Geld und Lebensmittel, die zum grössten Teil deutschen Lungenheilstätten zugewiesen wurden.

Der Nationalismus, wo er mehr ist als die Liebe zum eigenen Volk und Vaterland, zerstört das natürliche Bewusstsein des Menschen für moralische Werte, weil er moralische Massstäbe auf einem Gebiet anwendet, das es eigentlich nur mit der Abgrenzung einander widerstreitender Interessen zu tun hat, nämlich auf dem Gebiet der internationalen Politik, und dazu auch noch nicht etwa im Sinne einer einfachen Moral, sondern einer doppelten, die den gleichen Gedanken für gut oder böse hält, je nachdem, ob er von einem selber oder von einem anderen vertreten wird. Es wäre wünschenswert, aber auch erstaunlich gewesen, wenn sich die deutschen Freimaurer, nachdem Deutschland in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die Phase des konsequenten Nationalismus eingetreten war, von diesem zweigleisigen Denken hätten freihalten können, das sie schliesslich in den Untergang führen musste, weil es die Grundlage der Freimaurerei überhaupt, nämlich ein vorurteilsfreies Denken, preisgab. So wird vieles verständlich, was sich in der deutschen Freimaurerei vor, im und nach dem ersten Weltkrieg abspielte und zu den Schrecken des Zweiten Weltkrieges führte. Der fanatische Antifreimaurer General Ludendorff unterstellte, dass die Freimaurer nicht nur mit dem Weltjudentum, sondern auch mit den Jesuiten unter einer Decke stecken würden, dass ein freimaurerisch-jesuitisch-jüdisches Bündnis besteht, um durch ein jüdisch-kapitalistische, priesterliche Weltmonarchie mit Sitz in New York die Weltherrschaft an sich zu reissen. Er übersah dabei allerdings, dass der Jesuiten-Orden die Freimaurerei seit ihrem Entstehen erbittert bekämpft hatte. Und es kam der Amoklauf von Adolf Hitler und seinen Unterstützern, der auch viele Freimaurer ermorden liess, wie z.B. Dr. Leo Müffelmann. Er reiste nach Jerusalem und begründete dort am 15. November 1933 die Symbolische Großloge von Deutschland im Exil mit Sitz in Jerusalem/ Palästina, die bereits am 5. Juli 1933 beschlossen war. Diese war damit die einzige deutsche freimaurerische Großloge, die es nach dem endgültigen Verbot der Freimaurerei durch die Nationalsozialisten 1935 gab. Die national-christlichen Orden hatten sich 1935 ebenfalls aufgelöst. Leo Müffelmann kehrte aber trotz seines sich weiter verschlechternden Gesundheitszustandes 1934 nach Deutschland zurück. Er starb am 29. August 1934 an den Folgen der Verletzungen, die ihm als Freimaurer in einem Konzentrationslager zugefügt worden waren. Die Logen lösten sich ab 1933 entweder selber auf, oder sie wurden von den Schergen des 3. Reichs geschlossen. Das Vermögen, soweit es noch vorhanden war, wurde konfisziert und die Öffentlichkeit wurde durch die Räume geführt, damit man die angebliche Rechtmässigkeit der eigenen falschen Handlungen darstellen konnte. Die dunkle Zeit war auch für die Freimaurer in Deutschland gekommen. Sie sollte 12 Jahre andauern.

Ich möchte hier die Historie verlassen, zum Einen, weil es Menschen betrifft, die heute noch leben. Und wir äussern uns nicht über die Mitgliedschaft lebender Brüder, weil wir die Auffassung vertreten, dass nur jeder selbst in seinem Leben entscheiden kann, ob er sich wem gegenüber als Freimaurer zu erkennen gibt. Und zum Anderen verlasse ich die Historie, weil ich denke, dass die Geschichte seit dem Zusammenschluss der Logen in der Frankfurter Paulskirche unter dem Grossmeister Theodor Vogel und in Folge die Gründung zur VGL, der Vereinigten Grossloge von Deutschland, hinlänglich bekannt sind.

Ich möchte mich vielmehr der Arbeit des Freimaurers, den Ideen und Zielen der Freimaurerei zuwenden. Laut dem Brockhaus
8 von 1893 ist das „Ziel des Freimaurers, seine Arbeit, auch königliche Kunst genannt, die Kunst ohne die Antriebe der Furcht und der Hoffnung gut und vollkommen zu werden und durch Lehre und Beispiel veredelnd auf die
Menschheit einzuwirken. Die Menschheit in ihrer sittlichen Vollendung, befreit von allen sie trennenden Vorurteilen (der Geburt, des Standes, der Nationalität, usw.), geeint durch das Bewusstsein gemeinsamer Gottesfindschaft, wettereifernd im Dienste der Tugend und arbeitend am Bau allgemeiner Glückseligkeit, ist das Ideal, dem die Freimaurerei nach strebt. Ausgehend von dem Glauben an Gott den Schöpfer (allmächtiger Baumeister) der Welt und Vater aller Menschen, betrachten die Freimaurer sich als Brüder. Atheisten können daher als Freimaurer nicht aufgenommen werden. Diejenigen freimaurerischen Vereinigungen die berechtigt sind, neue Mitglieder in den Freimaurerbund aufzunehmen, heissen Logen oder auch Johannislogen nach Johannes dem Täufer, dem Patron des Bundes. In Deutschland gibt es gegenwärtig (1893) 388 Johannislogen mit 44 744 Brüdern. Ausserdem bestehen noch zahlreiche Freimaurerkränzchen, die ohne die Rechte
der Logen zu haben, regelmässige Zusammenkünfte zur Pflege freimaurerischer Zwecke abhalten. Eine eigentliche Geheimlehre, d.h. Kenntnisse, die anderen Kreisen verschlossen wären, hat die Freimaurerei nicht.“ Soweit der Brockhaus von 1893.

Wie sieht es heute aus? Auch heute noch entwickelt sich die Arbeit des Freimaurers aus der Frage „Sind wir Füreinander auf dem richtigen Weg um der Mitmenschlichkeit Raum zu geben?“. Daraus ergibt sich eine relativistische Sicht der Dinge, denn Füreinander und Mitmenschlichkeit beruft sich auf eine Moral, die man nur aufgrund einer Gesellschaft und einer Kultur erleben kann. Diese Ideen, die Ideen des Relativismus, sind die Grundlage der Freimaurerei. Der Relativismus geht davon aus, dass die Wahrheit von Aussagen stets bedingt ist. Die Aussagen sind abhängig von der jeweiligen Rolle, vom Lebensumfeld, von gelerntem aus Kindertagen und natürlich auch, aufgrund der eigenen Bildung. Die Freimaurerei kennt keine Dogmen und erklärt, dass es keine absolut gültigen Wahrheiten gibt, sie also relativ ist, und vertritt darüber hinaus auch die Auffassung, dass es auch keine absoluten ethischen Werte gibt. Es gibt zwar eine Wahrheit und eine Ethik, sie findet allerdings nur im jeweiligen Menschen im jeweiligen Bezugssystem statt. Das alles verbindet sich in der Freimaurerei noch mit den Ideen des Selbstverwirklichungs-Altruismus. Die altruistische Einstellung und entsprechendes Handeln kann wesentlicher Bestandteil des Selbstverwirklichungsstrebens sein. Altruismus ist dann Ausdruck des Selbst, das sich mit anderen Menschen verbunden weiß. Individualistischer Altruismus ist freiwillig, als Ausdruck, Bestätigung oder Gestaltung des Selbst gewollt, ohne Nötigung durch soziale und moralische Normen. Das kann zum Beispiel dann gegeben sein, wenn sich ein Mensch ehrenamtlich für karitative Zwecke engagiert oder in einer Hilfsorganisation wie der Freiwilligen Feuerwehr unentgeltlich seinen Mitmenschen hilft, selbst wenn er dafür um zwei Uhr Nachts aus dem Bett muss, um einen Brand zu bekämpfen.

Bitte lassen Sie mich noch mal kurz auf die Ideen und Ziele der Freimaurerei eingehen. Die Freimaurerei besteht in Ihrem Konzept aus der Idee einer mittelalterlichen Dombauhütte, die den Auftrag bekommt, eine gotische Kathedrale zu bauen. Der Freimaurer selbst ist, je nach seinen Möglichkeiten, Lehrling Geselle oder Meister einer Steinmetzloge der Dombauhütte. Er ist dafür verantwortlich, die Figuren oder die Schlusssteine aus einem Felsblock zu hauen. Der Architekt sagt dem Meister der Bauhütte, wie der Bau aussehen soll.

Der Ort ist nicht weiter wichtig, wenn Sie möchten, schauen Sie sich die gotischen lichtdurchfluteten Kathedralen in Chartres, Köln, Paris oder sonst wo an. Es ist immer wieder ein Genuss, sich klarzumachen, dass es ausser dem Intellekt bei diesen sakralen Bauwerken darum geht, ein erhabenes Gefühl der Glückseligkeit, der tiefen Gläubigkeit, zu erzeugen. Wenn Sie dieses Gefühl nachempfinden können, sind Sie ein Gläubiger, und das Bauwerk hat seinen Zweck erfüllt, Sie in Ihrem Glauben zu bestärken. Der Auftraggeber kann mit seiner Dombauhütte und den Bauleuten zufrieden sein, das Geld ist gut angelegt und der Nutzer, der Gläubige, ist ebenfalls zufrieden. Die Mitglieder der Dombauhütte gehen ruhig und sicher Ihrer Weg und treffen sich vielleicht bei einem anderen Bauvorhaben wieder.

Die Freimaurer bauen natürlich kein Bauwerk, im operativen Sinne, sondern bauen spekulativ am, wie wir es nennen, Tempel der Humanität. Dazu nutzt man regelmässig wiederkehrende Symbole und Texte, die in Wechselgesprächen vorgetragen werden. Wir nennen das Ritual. Das Ritual basiert auf der Bibel, ohne allerdings zu irgendeiner Art institutioneller Gläubigkeit aufzurufen. Wenn das Wissen des Menschen aufhört, ist der Glaube des Individuums gefragt, in den sich die Freimaurerei zu keiner Zeit einmischt. Glaube und Wissen bleiben strikt getrennt und wir unterhalten uns in der Loge weder über konfessionsreligiöse noch über parteipolitische Themen.

Als wohl bekannteste Symbole nutzt die Freimaurerei Winkelmaß und Zirkel. Zu Beginn jeder rituellen Arbeit fügt der Meister vom Stuhl Winkelmaß und Zirkel in feierlicher Form zusammen, ähnlich, wie es auch oft an Anstecknadeln zu sehen ist. Es ist ein senkrecht stehender, nach unten geöffneter Zirkel, der mit einem nach oben geöffneten Winkelmaß verbunden ist. Betrachten wir zunächst die beiden Symbole in ihrer Bedeutung als Werkzeuge für den Hausbau. Der Zirkel gehört dann in die Hand des geistigen Arbeiters, des Architekten. In Übereinstimmung mit den Gesetzen der Mathematik - hier vor allem der Geometrie und der Statik - entwirft er den Bau auf dem Reißbrett. Das Winkelmaß wird vom Steinmetzen bedient. Er bearbeitet mit der Kraft und Geschicklichkeit seiner Hände die Materie und legt den rechten Winkel an; denn nur der rechtwinklige Stein taugt zum Mauerwerk. Entscheidend für das erfolgreiche Aufrichten des Baus ist, dass Steinmetz und Bauarbeiter sich getreulich an die Entwürfe des Baumeisters halten. Jede Abweichung macht die konzipierte Ganzheit des Baus zunichte und kann zum Einsturz des Gebäudes führen. Hier wird deutlich, wie sinnvoll das Zusammenfügen von Winkelmaß und Zirkel ist: Nur wenn die Durchführung dem geistigen Konzept entspricht, und das Konzept die höheren Gesetzmäßigkeiten - die Naturgesetze - beachtet, kann das Werk gelingen. In ihm werden Naturgesetz, Planung und Ausführung zu einem Ganzen, wie es unser Symbolpaar versinnbildlicht. Man sagt, den Kopf im Himmel und die Füsse auf dem Boden. Oder, wie Oben so Unten.

Hier wird klar, dass die Freimaurerei schon sehr früh die Ideen der systemischen Sichtweise entwickelte. Es geht hierbei nicht mehr um Woher? und Wohin? sondern um die Bestimmung des Menschen, also passend zum - oder für das - Bauwerk oder eben unpassend. Da jeder Mensch eine andere Vorstellung von Humanismus hat, ergibt sich daraus auch der freimaurerische Relativismus. Goethe, selbst ein Freimaurer, wandte diese systemische Sichtweise auf seine Frage der Welterkenntnis an und überlegte sich, was die Welt im Innersten zusammen hält. Schiller, der ihm sehr nahe stand, beantwortete es sich mit „Schönheit“. Das war sicherlich nicht die Antwort, die Goethe haben wollte, dennoch waren die beiden befreundet und hatten einen reichen Briefwechsel. So führt die Freimaurerei Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschafts- und Bildungsschichten zusammen und vereint sie in dem Versuch, die Bestimmung des Menschen in Relation zur Menschheit, zur Erde und zu einem höheren Wesen, wir nennen das Grosser Baumeister aller Welten, zu erklären um für alle Lebewesen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Jeder an dem Platz, an dem er sich selbst berufen fühlt, etwas zu tun aber vor allem, ohne eine Idee der Missionierung. Jeder Mensch muss selber entscheiden, ob er in einer Loge tätig sein möchte oder nicht.

Die Erkenntnis der Bestimmung führt zu harmonischen Entscheidungen, die wiederum in die Tat gebracht werden. So baut sich der spekulative freimaurerische Tempel der Humanität Stein um Stein seit fast 300 Jahren in die Höhe und umfasst die Steine der Generationen und die Erinnerung an längst vergangene Brüder. Der Mensch stirbt, die Idee lebt weiter in seinen Nachkommen. Jeder neue Bruder stellt sich auf‘s Neue die Frage: Was ist meine Bestimmung in Hinblick auf die Menschen, die mich umgeben. Die Qualität der Antworten bestimmt die Qualität der Mitmenschlichkeit und des eigenen Erlebens der Realität.

Natürlich sind wir alle keine Heiligen. Aber, lassen Sie uns träumen, mal angenommen, wir würden uns, nur für morgen, vornehmen, irgendeinem anderen Menschen ein gutes Wort oder eine gute Tat zu widmen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, dann würde sich unser Umfeld etwas ändern. Würden wir das bei allen Begegnungen machen, nicht nur morgen, und nicht nur bei denjenigen Menschen, die wir mögen, würde das dazu führen, dass viel mehr Menschen lächeln würden. Dieses Lächeln würde uns selbst auch ein Lächeln auf unser Gesicht zaubern. Die Welt würde sich natürlich nicht ändern, sie bleibt wie sie ist, aber unsere Einstellung zur Welt ändert sich. Ich bin davon überzeugt, dass diese Welt menschenwürdiger und freundlicher wäre, als sie heute ist. Niemand hätte Angst vor dem Anderen und Alles wäre in einer besonderen Harmonie. Jedenfalls so lange, bis irgendein Mensch einen anderen Menschen, vielleicht auch nur unabsichtlich, verletzt, das Opfer sich zur Wehr setzt und seine Verletzung einklagt, andere Menschen dem Opfer zustimmen, weil es im Recht ist, ein Gewehr verkaufen und alles wieder von vorne anfängt. Das Opfer wird zum Täter und die Helfer verdienen viel Geld. Der Täter wird getötet, das Opfer überlebt und erkennt, dass es selbst ein Täter wurde, das wiederum von bewaffneten Opfern gejagt wird. Aus freimaurerischer Sicht bleiben Opfer und Täter vor Allem Mitmenschen, mit denen man auf dieser Erde lebt. Deshalb wollen wir die Erkenntnis fördern, dass ein gutes Miteinander zu einem schöneren Leben führt. Es gibt nicht Sieger und Besiegte sondern es gibt Sieger oder Besiegte. Niemand kann sich so sehr aus der irdischen Gesellschaft entfernen, als das nicht die eigenen Taten irgendwann auch an die eigene Tür klopfen. Wie die Griechen schon sagten, pantha rhei, Alles fliesst, niemand bleibt ewig Sieger, es ist alles nur eine Frage der Zeit. Insofern hatte Schiller Recht, als er sagte, alles strebt nach Schönheit. Jeder ist auf seine Weise schön. Ich bin ok, Sie sind ok und wir sind es auch! Wie gesagt, es ist ein Traum, aber wir können unsere Welt für Andere schön machen. Jeder an seinem Platz und in seinem Verantwortungsbereich. Wir sind selbst dafür verantwortlich, dass wir eine schöne Welt haben.

Sie haben völlig Recht, wenn sie sagen, diese Sichtweise ist völlig träumerisch und in Teilen sogar verlogen, weil sie das Schlechte in unserer Welt ignoriert. Allerdings habe ich in meinem kurzen Leben festgestellt, dass die Sichtweise, dass alles Schlecht ist, und das Gute ignoriert, keineswegs ehrlicher ist. Hermann Hesse hat mal geschrieben, und damit möchte ich auch zum Ende kommen: „Gerade das ist es ja! Das Leben, wenn es schön und glücklich, ist ein Spiel! Natürlich kann man auch alles mögliche andere aus ihm machen: Eine Pflicht, oder einen Krieg, oder ein Gefängnis; aber es wird dadurch nicht hübscher!“


Quellenangaben
1. „Am Rauhen Stein – Ein Leitfaden für Freimaurerlehrlinge“, 1925, Dr. med. Oskar Posner, Im Verlage der Freimaurer Loge „Latomia in den Bergen“, Reichenberg (Böhmen), S. 27 ff.
2. „Internationales Freimaurerlexikon“, Ausgabe von 1932 (hier: Überarbeitete Neuauflage,
Stand Februar 2000), Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder, F. A. Hewrbig
Verlagsbuchhandlung GmbH, München
3. „Die Freimaurer“, 1929, Eugen Lennhoff, Amalthea Verlag, Wien, Seite 212 ff.,
4. „Prominente Freimaurer“, Heinrich Kalbfuss, Selbstverlag „Bruderkette zur Stärke und
Schönheit“, Trillerweg 14, 66117 Saarbrücken
  • „Freimaurer: Humanisten? Häretiker? Hochverräter?“, 1988, Allan Oslo, Umschau Breidenstein Verlag GmbH, Frankfurt am Main

  • „Freimaurerei – Die große Unbekannte“, 1999, Michel Diereckx, Edition zum rauhen

Stein / Studien Verlag Ges.m.b.H., Inssbruck
  • „Meyers Hand-Lexikon“, 1872, Band I, Verlag des Bibliographischen Instituts, Hildburg

hausen
8. „Brockhaus Konversations Lexikon“, 14. Ausgabe von 1893, Siebenter Band, F.A.
Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien
9. „Deutsches Freimaurer-Lexikon“, 1999, Reinhold Dosch, Verlag „Die Bauhütte“, Bonn
  • „Freimaurer in Deutschland – Bilanz eines Vierteljahrtausends“, 1964, Manfred Stef-

fens, Christian Wolff Verlag, Flensburg
  • „Die Politik der Geselligkeit. Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft

1840 – 1918“, 2000, Stefan-Ludwig Hoffmann, Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen
  • „Aus meinem Freimaurerleben“, 1957, August Horneffer, Akazien Verlag, Hamburg

  • „Die Esoterik der Freimaurer“, Alfried Lehner, 4. Auflage 1997, Hohenloher Druck- und Verlagshaus Gerabronn und Crailsheim